15. Juni 2023

Lesestoff

Die Buchtipps des Sulzbacher Anzeigers

Xi Xis Kultroman „Meine Stadt“ erzählt rasant und fantasievoll die stürmischen 1970er Jahre der Metropole Hongkong, die bis in die Gegenwart weisen. Der Fahrradkurier und Journalist Jody Rosen schildert in „Zwei Reifen, eine Welt“ die Geschichte und Gegenwart eines Fortbewegungsmittels, das die Welt verändert hat. In „Herbst an der Bucht der Somme“ präsentieren Philippe Pelaez und Alexis Chabert eine Graphic Novel, die eine wendungsreiche Story mit einem Porträt der Pariser Gesellschaft kurz vor der Jahrhundertwende kombiniert.

„Meine Stadt“

Kann es ein Leben ohne Hongkong geben? Nicht für Aguo, den neunmalklugen, stolzen Bürger der Stadt. Mit seiner Schwester Afa lebt er im Haus der Tanten, genannt „die Lotusblumen“. Oder, an ihren übel gelaunten Tagen, „die Lotuswurzeln“. Aguo wundert sich über alles und jeden in der Schule, mutiert zum leidenschaftlichsten Elektroinstallateur der Stadt und lernt auf seinen Streifzügen durch das Hongkong der 70er Jahre die gesamte Bevölkerung kennen: Müllsammler und Telefonistinnen, Seemänner und Tischler. Sie alle sind vom Festland hier gestrandet, mit sehnsüchtigen Herzen und pompösen Plänen. Doch das Leben in der Stadt gestaltet sich reicher an Hindernissen als gedacht. Was Aguo, auf einem Telefonmast sitzend, nicht davon abhält, begeistert vom ewigen Leben Hongkongs zu träumen.

Xi Xi ist das Pseudonym von Zhang Yan, geboren 1938 in Shanghai, verstorben 2022 in Hongkong, wo sie seit 1950 lebte. Sie gilt als eine der einflussreichsten chinesischsprachigen Autorinnen. Xi Xi hat über 30 Bücher verschiedener Genres und Stile veröffentlicht, in Zeitungen und Zeitschriften publiziert sowie Drehbücher verfasst. 2019 wurde ihr der 6. Newman Prize for Chinese Literature verliehen, 2022 erhielt sie vom Hongkong Arts Development Council eine Auszeichnung für ihr Lebenswerk. „Meine Stadt“ ist Xi Xis erstes ins Deutsche übersetzte Werk.

Xi Xi: „Meine Stadt“
Übersetzt von Karin Betz
Suhrkamp Verlag, 2023. 253 Seiten, 24 Euro.

„Zwei Reifen, eine Welt“

Eine einzigartige Liebeserklärung an das Fahrrad: Der Fahrradkurier und Journalist Jody Rosen erzählt mitreißend, klug und charmant von Geschichte und Gegenwart eines genialen Fortbewegungsmittels, das die Welt verändert hat. Eigentlich müsste ein Fortbewegungsmittel aus dem 19. Jahrhundert in unserer Welt mit ihren Smartphones, Ubers und selbstfahrenden Autos hoffnungslos veraltet sein. Doch das Gegenteil ist der Fall: Wir leben auf einem Fahrrad-Planeten! Das Fahrrad ist heute das meist genutzte Transportmittel weltweit. Jody Rosen erzählt kenntnisreich und mitreißend von aristokratischen Jungspunden auf Drahteseln, von Frauen, denen das Fahrradfahren per Gesetz verboten wurde, weil sie ihren Männern davonfuhren, von Fahrradfriedhöfen bis hin zu den BLM-Protesten.

Jody Rosen, geboren 1969 in New York City, arbeitet als Journalist und Autor. Er schreibt für das New York Times Magazine, den New Yorker, Slate, die Los Angeles Times u.a. hauptsächlich über Kultur und Fortbewegungsmittel. Mit seiner Familie lebt er in Brooklyn.

Jody Rosen: „Zwei Reifen, eine Welt“
Übersetzt von Andreas Jandl, Sigrid Schmid und Violeta Topalovaf
Hoffmann und Campe, 2023. 464 Seiten, 26 Euro.

„Herbst an der Bucht der Somme“

Im Herbst des Jahres 1896 und damit mitten in der Belle Époque, einer Blütezeit Frankreichs, wird die Leiche des Großindustriellen Alexandre de Breucq auf dessen Schoner in der Bucht der Somme gefunden. Die Pariser Polizei entsendet ihren besten Ermittler, Amaury Broyan, um den hochkarätigen Fall aufzuklären. Der Verdacht fällt schnell auf Breucqs Witwe, die nun Erbin eines immensen Vermögens ist. Aber auch die schöne Mätresse des Toten, jene Axelle Valencourt, die Muse für zahlreiche Künstler der Pariser Bohème ist, könnte involviert sein. Broyan erkennt schon bald, dass dieser Mordfall komplexer ist, als es den Anschein hat, denn von den edelsten Villen der Hauptstadt bis zu den verruchtesten Kabaretts des Montmartre scheinen wirklich alle etwas zu verheimlichen.

Ein klassischer „Whodunit“-Krimi, der eine wendungsreiche Story mit einem Porträt der Pariser Gesellschaft kurz vor der Jahrhundertwende kombiniert. Das Hauptaugenmerk liegt auf den starken Frauen dieser Zeit, die jeweils auf ihre eigene Weise gegen das Patriarchat aufbegehrten. Und vor der herrlichen Kulisse der Belle Époque kann Alexis Chabert seine aufwendige Zeichenkunst vollends ausleben.

Philippe Pelaez & Alexis Chabert: „Herbst an der Bucht der Somme“
Übersetzt von Tanja Krämling
Splitter, 2023. 72 Seiten, 19,80 Euro.

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